Moralpredigt.
Viel ist in dem – nun auch schon wieder – abgelaufenen Jahr 2014 passiert. Schönes, Schreckliches, Kurioses, Herzergreifendes…
Ein Heiratsantrag in Holland endete mit dem totalen Dachschaden eines Mehrfamilienhauses. Das IPhone 6 kam auf dem Markt, fast gleichbedeutend mit dem Weltmeistertitel unserer Nationalelf. Conchita Wurst wusste beim ESC zu bezaubern und riste like a Phoenix (Entschuldigung, der musste leider sein.), während Uli Hoeneß wie ein abgeschosser Adler im Sturzflug nach unten segelte. Jennifer Lawrence stieg zu einer echten Hollywoodgröße auf und wurde zum werbewirksamsten Gesicht 2014 gekürt. Ich bekam ein neues Smartphone. Die Zeitungen schrieben: 25 JAHRE MAUERFALL; 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG; PUTIN OBERKÖRPERFREI AUF TIGER GESICHTET; KANZLERIN ABGEHÖRT; EMMA WATSON IST SINGLE.
Doch nun ist es Zeit, nach vorne zu sehen und zu realisieren, was vor uns liegt. 365 Tage werden wir nun in 2015 lachen, weinen oder erschrocken die Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen. 8760 Stunden werden wir genießen, verabscheuen oder vor der Realität wegrennen. 525600 Minuten werden wir Sachen tun, die wir lieben, die wir hassen oder von denen wir dachten, dass wir niemals mit ihnen konfrontiert werden würden. Und wenn meine Rechnung aufgeht, dann werden wir 31536000 Sekunden des Jahres leben.
Doch bevor wir mit Kopfsprung, Arschbombe oder stolpernd das Jahr 2015 betreten, sollten wir uns erst einmal darüber klar werden, was für Erwartungen, Wünsche oder Ängste wir für das kommende Jahr in uns tragen. Spielen wir mit offenen Karten. In diesem Jahr werden wir neuen Menschen begegnen und vor neue Probleme gestellt – das ist unausweichlich. Wir werden öfter mal ins kalte Wasser geworfen und manchmal auch einfach nur am Wegesrand ausgesetzt. Da hilft es nicht, die Augen zu schließen, sich dreimal im Kreis zu drehen und dann völlig erschöpft auf den Boden zu fallen. Wir müssen versuchen das Beste draus zu machen und dem Leben seine Zeit geben. Manchmal benimmt es sich nämlich wie ein präpubertierender Teenager auf Speed, aber wir alle wissen, wie wir damit umzugehen haben: Mit viel Ruhe und einer großen Portion Verständnis.
Viel wird sich in diesem Jahr verändern. Viele werden gehen, aber auch ganz viele Neue eintreten in diese Welt, die sich durch Individualität, Ideen und Wandel auszeichnet. Dadurch entsteht ein sich immer erweiterndes Geflecht aus Beziehungen (jeglicher Art), welches zu einer neuen Komplexität heranreift und unser Zusammenleben auf ein höheres Level hebt. Diese Entwicklung vernachlässigt und vergisst jedoch manchmal den einzelnen Menschen, das Individuum. Unantastbar schwebt dieses Etwas, was wir als Fortschritt bezeichnen, deklariert als unser primäres Schaffensziel – als ein wünschenswerter Zustand – über unseren Köpfen. Alles muss besser, schneller, größer, stärker und natürlich schicker werden. Nicht mehr vorhandene und vernachlässigte Menschlichkeit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft wird als Kollateralschaden abgetan und früher bestehende Werte und Normen dem Modernisierungsprozess untergeordnet. Menschen werden als nützlich und unnütz eingestuft und dementsprechend behandelt. Flüchtlinge, die die Gesellschaft vorerst nicht instrumentalisieren und brauchbar für das Bruttosozialprodukt machen können, werden als Feinde des Systems angesehen, die bekämpft werden müssen. Wer nicht funktioniert, wird aussortiert. Wer keine Leistung zeigt, wird dementsprechend bewertet und dem leistungshungrigen System wie zum Fraß vorgeworfen. Natürlich gewordene Selektion. Wie einst Peter Fox schon so treffend sagte: „Du bist nicht fit und wirst gefressen. Ungekaut, kurz verdaut und für immer vergessen.“ Doch bevor dieser Text das Jahr mit einer zu schlechten, systemkritischen Stimmung einleitet, möchte ich nun mehr darauf hinweisen, wie wir dagegenhalten können. Wie wir, trotz des Wandels, uns besinnen und unsere Menschlichkeit betonen können. In einer Welt,die nicht nur von Menschen, sondern auch für Menschen gemacht werden sollte. Eine Welt, in der nicht nur die aufsteigenden Aktienkurse Freude und Herzrasen verursachen, sondern auch Nächstenliebe und ein einfaches Lächeln. Helft hier und da mal alten Damen über die Straße, verurteilt Menschen, die mit rassistischen Plakaten mit hirnlosen Parolen und rausgeschrienen Hassbekundungen verbale Umweltverschmutzung betreiben. Unterstützt hingegen (ob in der Familie oder auch in der Politik) zielorientierte Diskussionen und Gespräche zwischen Streitpartnern. Helft Lösungen zu finden, ohne persönlich anzugreifen. Engagiert euch ehrenamtlich und helft eurem Nachbarn, wenn er nach dem nächsten Unwetter wieder Wasser im Keller hat. Begegnet einander mit Respekt und bildet euch erst eine Meinung, nachdem ihr besagter Person mindestens fünf Minuten eurer Lebenszeit gegeben / geschenkt / an sie vergeudet habt. Lasst euch nicht vom Leistungsdruck unterkriegen und entwickelt Fähigkeiten, die euch auszeichnen. Seht nicht als vorderstes Ziel den Fortschritt in unendliche Dimensionen an. Denn auf einem Planeten, der lediglich aus Endlichkeit (Ressourcen, Leben) entstanden ist, kommt es beim Anstreben eines unendlichen, gottesgleichen Zustands unweigerlich zu kontroversen und kollidierenden Ansichten. Ich will es nicht drauf anlegen, aber ich würde aus meiner heutigen Sicht sagen, dass wir, die Bewohner dieses Planeten, bei dieser Auseinandersetzung den Kürzeren ziehen werden. Das wäre wie bei einem Mietshaus. Der Mieter fängt an, in seiner Wohnung Bilder an die Wand zu hängen, hier und da anzubauen. Macht Durchbrüche und hält sich Hunde und Katzen, um sich das Leben in dieser Wohnung zu verschönern. Was er dabei allerdings vergisst, ist, dass der Vermieter meist ein miesgelaunter, rechthaberischer und lauter Mann ist, der es gar nicht mag, wenn man ihn provoziert und sein Eigentum zerstört oder zu den eigenen Gunsten verändert. Irgendwann läuft jedes Fass mal über.
In diesem Sinne: Keep it slow. Seid mal nett zu Mutter und Vater. Versucht auch eure PS3 zu schätzen (auch wenn vielleicht die PS4 viel besser und prestigehebender wäre) und genauso die persönliche Interaktion mit euren Menschen dem TeamSpeak vorzuziehen. Haltet euch nicht zurück, eure Meinung zu sagen und auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Wenn jeder von euch nur – sagen wir mal – einen Punkt beachtet und dem eine hohe Bedeutung zumisst, haben wir alle die Möglichkeit, das Jahr 2015 nicht nur für uns persönlich zu verbessern, sondern ein kleines Stück auch für andere. Andere, die sich selbst nicht mehr helfen können. Wie Die Ärzte schon wegweisend meinten: „ Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wäre nur Deine Schuld, wenn Sie so bleibt.“ Mal schauen, wie weit wir dieses Jahr kommen. Ich habe ein gutes Gefühl!
Ich wünsche euch allen ein wunderbares, erlebnisreiches, ausgelassenes und glückliches Jahr 2015. Ich hoffe, dass ihr nicht zu viele – am besten gar keine – Schicksalsschläge ertragen müsst, und wenn doch, dann wünsche ich euch Kraft und die Fähigkeit, jedes Schlechte auch als Erfahrung und den Anfang von etwas Neuem anzusehen. Wichtig ist einfach das Bewusstsein, dass das, was wir „Leben“ nennen, einfach nur die Zeit ist, die zwischen Aufstehen und Schlafengehen vor sich hin vegetiert. „Leben“ ist also das, womit wir diese Zeit füllen, sind die geglückten und gescheiterten Versuche und auch die Zufriedenheit, wenn wir an manchen Tagen nicht aufstehen und den ganzen Tag im Bett bleiben wollen. Dann versuchen wir es halt am nächsten Morgen nochmal neu. Wir haben 365 Tage Zeit.
PROSIT NEUJAHR, liebe GAGler!
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