Und über allem schwebte Berliner Duft
Politik ist nur etwas für alte, schlecht aussehende, internetunerfahrene, besserwisserische, langweilige und abgehobene Menschen. Sie sitzen in Berlin auf ihren schwarzen Ledersesseln, trinken Kaffee, essen Kekse und haben Leute, die sie rumkommandieren können. An sich interessieren sie sich nicht für die Sorgen eines Normalbürgers, können sich nicht in die Lage eines Arbeitslosen hineinversetzen und haben Probleme, mit der Berliner U-Bahn zu fahren.
„Wenn der Irak Erdnüsse gehabt hätte anstatt Erdöl, bin ich mir nicht sicher, ob es den Krieg gegeben hätte.“, Herr Coße zum Thema begrenzte Ressourcen.
Dies sind alles Vorurteile, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Revidieren kann man das Image des „unnahbaren und lebensfremden Politiker“ selten, weil es nur den Wenigsten möglich ist, ein persönliches Gespräch mit ihnen zu führen. Doch wäre es nicht auch den Politikern gelegen, dass damit mal aufgeräumt wird und sie selbst die Chance bekommen, sich ver- äh- vorzustellen?
Das dachte sich auch unsere Schule und… lud unter der Aufsicht unseres Schulleiters Dr. Krobisch die sechs Bundestagskandidaten unseres Wahlkreises (Steinfurt III) ein.
Die Bundestagskandidaten:
Hermann Stubbe (Bündnis 90 / Die Grünen), Anja Karliczek (CDU), Kathrin Vogler (MdB, Die Linke), Christophe Lüttmann (FDP), Sasa Raber (Piratenpartei) und Jürgen Coße (SPD).
Sie alle reisten mit der Absicht an, einige unschlüssige Erstwähler zu gewinnen und sich selbst bzw. ihre Partei schmackhaft zu machen.
Die Schülerinnen und Schüler kamen entweder, weil sie sich selbst für Politik interessieren, oder weil sie als Schüler der Sozialwissenschaften der Oberstufe hingehen mussten. (Hierbei sei gesagt, dass sich beides nicht ausschließt!)
Herr Dr. Krobisch hielt eine kurze Ansprache in der er den Sinn der Veranstaltung deutlich machte und endete mit einem deutlichen Appell an die Erstwähler: Geht wählen !!!
„Da haben Sie wohl Ihr eigenes Wahlprogramm falsch verstanden!“, Frau Vogler zu Frau Karlizcek beim Thema Homosexualität.
Nun übernahmen die Modertoren (Sophie Aufderheide, Fabian Meer, Sophie Jäger, Lea Windau // Q2) das Wort und erklärten den Ablauf der nächsten zwei Stunden. Ihr erarbeitetes Programm sah vor, insgesamt über drei große Hauptthemen zu diskutieren: Energie & Umwelt, Finanzen & Europa und Familie & Bildung.
Nach einem anfänglichen Statement der Politiker zu jedem Themenblock hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die Redezeit der Politiker wurde von den Moderatoren überwacht, sodass es nicht zu einem Ungleichgewicht kam.
Zuerst stellten sich die Politiker vor und erzählten, warum sie in die Politik gegangen waren, danach ging es los.
VORSICHT, JETZT FOLGEN INHALTE!
Christophe Lüttmann (FDP) machte den Anfang und sagte seine Meinung zum Thema „Energie und Umwelt“: Er will das EEG (ErneuerbareEnergienGesetz) reformieren und setzt auf einen marktwirtschaftlich ermittelten Strompreis.
Jürgen Coße (SPD) will mit seiner Partei weiterhin auf erneuerbare Energien setzen und möchte mehr Geld in die Forschung nach Möglichkeiten der Speicherung des aus Windkraftanlagen erzeugten Stroms setzen.
Die Piratin Sasa Raber schloss sich der Meinung der SPD an und verwies auf eine Dezentralisierung und sagte zu, das Geld vor Ort investieren zu wollen.
Anja Karliczek (CDU) verwies darauf, dass eine Energiewende – von Atomkraft auf Erneuerbare Energien – eine lange Zeit dauere und wohl auch noch eine ganze Generation in Anspruch nehme.
Hermann Stubbe (Die Grünen) sagte mit Verweis auf die Position der FDP, dass Energie ein Bereich ist, in dem der Markt noch nie funktioniert hat. Er vermutet, dass die Erhöhung der Strompreise reine Abzocke der Energiekonzerne sei.
Kathrin Vogler (Die Linke) möchte die jetzt existierenden Energiemonopole aufteilen und sprach sich klar gegen das Fracking aus.
Auch die Kandidaten kamen sich näher:
„Jetzt habe ich Ihren Namen vergessen…“, entschuldigender Blick von Frau Raber an Herrn Coße.
„Coße. Sie können mich aber auch gerne Jürgen nennen.“, er errötet.
Der Block „Finanzen und Europa“:
Herr Lüttmann (FDP) sieht im `Euro´ einen dramatischen Konstruktionsfehler. Er wünscht sich einen kritischen Umgang mit der Eurokrise. Zitat: „Der Euro gefährdet Europa!“
Herr Coße (SPD) geht eher davon aus, dass falsche Politik Europa gefährdet. Er macht sich stark für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Reiche und sieht ein großes Problem in den Finanzmärkten und fordert eine Finanztransaktionssteuer und eine Regulation der Banken.
Frau Raber (Piraten) setzt sich für ein gerechteres Steuersystem ein, indem die Reichen mehr zahlen müssen. Sie fordert ein gemeinschaftliches Europa und will, mit Sicht auf die Krise in Griechenland, das Geld nicht in Banken stecken, sondern damit die Menschen unterstützen.
„Der Ehrliche soll nicht der Dumme sein!“, Herr Coße zum Thema Steuern (zahlen).
Frau Karliczek (CDU) zeigt auf, dass die Steuereinnahmen in den letzten Jahren einen Höchststand erreicht haben und dass es schon 2015 einen ausgeglichenen Haushalt geben soll.
Frau Vogler (Die Linke) klärt darüber auf, dass Sie für eine Millionärssteuer sei und das sie nicht die Banken retten möchte „weil sie angeblich systemrelevant“ seien, sondern sie sich vorrangig um die Menschen kümmern möchte.
Herr Stubbe (Die Grünen) sieht ebenso wie die FDP einen Konstruktionsfehler im Euro und sagt aus, dass er gegen ein Kaputtsparen der Länder sei.
Auf die Frage, wie sich die Parteien denn vorstellen, den Menschen und nicht hauptsächlich den Banken zu helfen, sagt Herr Coße, das man zum Beispiel Beamte nach Griechenland schicken sollte, die sich um bessere Strukturen bemühen und somit den Griechen Hilfe im normalen Sektor anbieten.
„Wir sind eine ganz besondere Partei. Das merken Sie daran, dass keine andere Partei mit uns zusammen arbeiten will!“, Frau Vogler als abschließendes Statement.
Der Block „Familie und Bildung“ wird direkt durch die Frage einer Schülerin an die CDU-Kandidatin Frau Karliczek eingeleitet. Das Thema der Homosexualität und des Adoptionsrechts für homosexuelle Paare bringt diese dann doch schnell in Schwierigkeiten. Frau Karlizcek (CDU) gibt eine ausweichende Antwort und verweist auf das überarbeitete Ehegattensplitting und den Ausbau der Kitaplätze.
Herr Coße (SPD) bringt mit einem Kommentar das Gelächter und den Applaus auf seine Seite: „Nun sehe ich mich an meine Schulzeit erinnert. Da stand unter den Arbeiten manchmal sowas wie `Thema verfehlt!´. Das würde ich Ihnen jetzt drunter schreiben.“
Als Frau Karliczek endlich ihre Meinung öffentlich preisgibt, dass ein Kind bis zu seinem ersten Lebensjahr VATER und MUTTER für eine gesunde Entwicklung benötige, ist diese Aussage das geeignete Fressen für die anderen Parteien. Piraten, Linke, Grüne und SPD machen deutlich, dass homosexuelle Lebenspartnerschaften dieselben Rechte haben sollten, wie alle anderen heterosexuellen Paare auch.
Herr Lüttmann (FDP) stand dem Thema neutral gegenüber und ging nicht weiter darauf ein.
Die Schlussworte folgen nun:
Herr Lüttmann (FDP): Wir setzten uns für den Mittelstand ein.
Herr Coße (SPD): Wir haben Vorstellungen und Lösungen. Dabei: Kindergartengebühren abschaffen und einen Mindestlohn von 8,50 €.
Frau Raber (Piraten): Wir stehen für verständliche Politik und wollen Euch eure Stimme wiedergeben.
Frau Karliczek (CDU): Wir fördern junge Menschen auf ihrem Weg von der Schule, durch das Studium, bis hin zu ihrer späteren Arbeit.
Frau Vogler (Die Linke): Die Linke will informieren und ist strikt gegen Waffenexporte ins Ausland.
Herr Stubbe (Die Grüne): Wir stellen die Weichen für die Zukunft und setzten uns aktiv für den Tierschutz ein und fordern auch Euch auf, euch aktiv einzumischen.
Nach diesen abschließenden Statements waren die 2 Stunden Politikbesprechung vorbei. Die Schülerinnen und Schüler applaudierten den Kandidaten wegen ihrer (vermeintlich) ehrlichen Antworten, und auch die Politiker dankten den Schülern.
Alles in allem war es ein gelungenes, informatives und an manchen Stellen recht unterhaltsames Treffen zwischen Politikern und Schülern, das bestimmt manch einem unschlüssigen Erstwähler seine Entscheidung leichter gemacht hat.
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