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24. Türchen

Ein etwas anderes Weihnachten

 

„Scheiße ist das kalt!“, nuschelte Nadja. Um sie herum fielen Schneeflocken und bedeckten die Straßen. Inzwischen waren es schon 50 cm Schnee, welche sich an den Straßenrändern derHauptstraße aufgeschoben hatten. Aus einer Zeitung, welche sie in einem Mülleimer gefunden hatte, wusste sie, dass die Temperaturen noch bis zu -10 °C abfallen würden. Der Dezember war eine schwere Zeit für die „Brückenbewohner“ der Millionenstadt. „Brückenbewohner“ – das war eine schöne Umschreibung für Penner, so wie sie einer war. Sie zog sich den Kragen ihrer gebrauchten Lederjacke hoch und zog sich ihre gestrickte Mütze tiefer in die Stirn. Sie war jetzt gerade 15 Jahre alt geworden. Die Zeit auf der Straße hatte sie gezeichnet und auf ihren Armen erkannte man Schnitt- und Schlagwunden. Ihre Finger waren lang und dürr. Inzwischen spürte sie ihre Fingerspitzen nicht mal mehr da die Kälte sie wie ein undurchdringbares Tuch umhüllte. Sie vergrub ihre Hände tiefer in die Jackentaschen und versuchte sich durch die Bewegung zu erwärmen. Während sie zum Treffpunkt ihrer Clique lief kam sie an all den schönen Einfamilienhäusern vorbei. Sie sah Lichter und das Glitzern der Weihnachtsbäume. Schön geschmückt mit bunten Kugeln und kleinen Figuren. Sie sah Kamine brennen und sehnte sich nach ihrer Wärme. Sie erwischte sich selbst dabei, wie sie an einem Haus stehen blieb und fast wie versteinert durch das Fenster starrte. In der Mitte des Raumes stand einer der schönsten Weihnachtsbäume die sie je gesehen hatte. Darunter lagen große und kleine Päckchen. Sie konnte leise Musik vernehmen und das Klirren von Besteck. „Vermutlich benutzen die gerade ihr Geschirr mit dem Goldrand. Dazu das Silberbesteck. Muss ja alles total toll sein!“, ihre Gedanken rissen sie aus ihrer Starre. Sie kannte die Gebräuche der reichen Menschen an Weihnachten. Viel zu viel Essen, teuren Wein und noch so teure Geschenke. Dazu das beste Tischgedeck von der Oma. Sie kannte all diese Gebräuche. Aus einer Zeit die ihr so lang entfernt schien, dass sie die Bilder nur noch verschwommen vor sich sah. Sie zwang ihre erkalteten Beine ihren Weg fortzusetzen und möglichst schnell, möglichst viel Strecke zwischen sie und diesen neureichen Häusern zubekommen. Sie hasste den 24. Dezember. Ein Tag der Güte und ein Tag der Hoffnung auf ein gutes neues Jahr. Man verbringt die Zeit mit seinen liebsten Verwandten. Zumindest scheinen immer alle der Meinung zu sein. In Wahrheit waren aber alle froh wenn die bucklige Verwandtschaft fort war und mit ihnen die albernen Socken, Parfüms und Unterwäsche, welche ihren Weg in die Mülltonne gefunden hatten. Sie kannte all das noch. Zusätzlich hatte sie heute in der Weihnachtsausgabe der Zeitung (welche sie einer Familie aus dem Briefkasten geklaut hatte) eine Umfrage gesehen in der es um die unnützesten Weihnachtsgeschenke ging, die jeder kannte. In ihrer linken Jackentasche erfühlte sie die Zigarettenschachtel die sie einem Mann auf der Straße entwendet hatte. Sie nahm einen Glimmstängel heraus und suchte nach ihrem Feuerzeug. In Ihrer zerfransten Hose fand sie es und zündete sich die Zigarette an. Sie zog einmal kräftig daran und atmete danach einmal tief aus. Der Rauch, welcher ihrem Mund entfuhr mischte sich mit der fast gefrierenden Luft. Ihre Wangen waren rosa vor Kälte und auch ihre Augen waren halb geschlossen um sich vor den herunterfallenden Schnee- und Hagelkörnern zu schützen. Das Wetter schlug um und sie wusste, dass wenn sie sich nicht beeilen würde, sie voll in diesem Schneesturm stehen würde. Mit der Zigarette in der Hand lief sie nun den einsamen Waldweg entlang. Sie kämpfte sich durch das Gestrüpp und versuchte zu ignorieren, dass der Schnee durch ihre dünnen Sommerschuhe lief und ihre Füße nass wurden. Es waren nur noch ein paar Schritte und die wollte sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Und da sah sie ihn. Den alten Bunker. An seinen Wänden war mit Graffiti Namen und Bilder gesprüht worden. Doch ein Spruch gefiel ihr ganz besonders. Er stach aus dem Chaos der anderen Graffitis heraus und beschrieb ihre Situation am besten. „Die Gesellschaft hat uns vergessen, zeigen wir ihnen das wir noch existieren!“, sie erinnerte sich, dass sie mit einem Edding in ihrer krakeligen Schrift noch ergänzt hatte:“ Holen wir uns was uns zusteht.“ Sie wusste noch, dass das damals war. Keinen Monat nachdem sie von Zuhause geflohen war. Weg von ihrem alkoholabhängigen Vater und der Psychisch kranken Mutter. Sonst hatte sie keine Familie gehabt und hatte nach einem gescheiterten Selbstmordversuch sich dafür entschieden einfach weg zu laufen. Sie hatte sich damals nicht ausmalen können was sie erwartete als Penner auf der Straße. Als Ausgestoßener von der Gesellschaft. Wie Dreck und Müll der die Brücken- und Öffentlichen Plätze verdreckte mit dem einzigen Unterschied, dass die Kehrmaschinen der Stadt sie nicht einfach wegkehren konnten.

Sie klopfte an die morsche Holztür und warf die abgebrannte Zigarette in den Schnee. Die Tür wurde vorsichtig aufgemacht und die Scharniere knirschten unter der Kälte und dem Gewicht, welches sie trugen. Nadja ging hinein und umarmte die vermummte Person, welche ihr die Tür geöffnet hatte. Es war Max. Max war 20 Jahre alt und lebte seit 5 Jahren auf der Straße. Irgendwie hatte er es geschafft die Winter zu überleben und auch sonst genug Essen zu finden, dass er durchkommen konnte.Jedoch gab hatte ihm wohl eine Sache geholfen: Max war der Ansicht, dass die Klimaerwärmung für die „Brückenbewohner“ nur positiv war, da die Temperaturen nicht so niedrig mehr fielen. Dass überhaupt ein wettertechnischer Wandel im Gange war, wussten sie nur von den gefundenen Zeitungen und den Fernsehgeschäften an dessen Schaufenstern sie immer standen um die bewegten Bilder in den Fernsehern verfolgten.

„Hallo Zusammen!“, sagte Nadja. „Dir muss kalt sein!“, sagte Katrin, „Hier nimm dies.“ Katrin reichte Nadja eine Tasse Tee, welche sie über einem kleinen offenen Feuer erwärmt hatte. Dankbar nahm Nadja die Tasse und verbrannte sich ihre Hände daran. Doch alles war besser als die erbarmungslose Kälte die draußen lauerte. Sie saßen zusammen um das kleine Feuer und schwiegen sich an. Neben Max und Katrin war auch noch Kalle da. Kalle sagte nie etwas und genau deshalb war er der beste Zuhörer den man finden konnte. Wenn man traurig war über den Zustand seiner Lage, nahm er einen in den Arm und summte leise ein Lied, welches die Sehnsucht nach weit entfernten warmen Ländern schürte. Keiner wusste so genau wie alt er war, aber er schien schon seine besten Tage hinter sich zu haben. Schließlich durchbrach Max die Stille und übertönte mit seiner Stimme das Prasseln des Feuers. „Ihr wisst alle, was für ein Tag heute ist. Heute ist der tollste Tag in dem Leben eines kleinen Kindes – nach dem eigenen Geburtstag. Heute ist der schönste Tag für glücklichen Familien und die Zusammenführung von sich liebenden Paaren. Zu guter Letzt läutet dieser Tag das Ende der verkaufsträchtigen Adventstage ein. Die Geschäfte sind wieder einmal überrannt worden und die Leute haben sogar noch mehr Geld für Geschenke“, er stieß das Wort aus wie einen Fluch, „ausgegeben wie letztes Jahr.“

Katrin fuhr fort: „ Es ist wieder an der Zeit Betteln und sichRächen zu gehen. Die meisten Menschen sind spendabler, wenn sie in diesen Tagen um eine Spende gebeten werden. Hat einer eine Idee wo wir anfangen wollen?“

„Ich denke, dass ich dieses Mal direkt nach dem Abendgottesdienst an der Kirche auf sie lauern werde.“, sagte Nadja. Sie hatte letztes Jahr im Nachhinein dort am meisten Geld einsammeln können.

„Die Idee ist gut! Aber ich finde, dass dieses Jahr der beste Zeitpunkt ist um sich ein wenig an der Konsumgesellschaft zu rächen.“, lachte Max, „ Heute ist ein guter Tag um ein paar Autoscheiben einzuschlagen und Taschen zu klauen. Am besten können wir auch versuchen in einige der Häuser einzubrechen und ihnen einige der Geschenke zu entwenden. Diese Geschenke fürdie Kinder, die sowieso alles haben. Die Geschenke für die Kinder, die uns nur mit abfälligen Blicken bedenken und uns hinterherspucken, wenn die Eltern nicht hinschauen.“

„Du hast Recht! Die Einbrüche könnte ich wohl begehen, wenn du Wache stehst?“, fragend wandte sich Katrin an Max. Nadja war unwohl bei dem Gedanken, dass sie wieder einmal kriminell werden sollte. Sie hatte genauso wie letztes Jahr Angst um ihre Freunde. Um die Beklauten machte sie sich keine Gedanken, sie hatten ja genug. Sie konnten sich im Nu neue Scheiben kaufen. Und ob die selbstsüchtigen Kinder nun ein Geschenk mehr oder weniger hatten das würde sie nicht umbringen. Sie hingegen würden die Kälte und der Winter jedoch noch umbringen, wenn sie nicht langsam neue Kleidung etwas Geld und Essen bekamen.

„Die Gesellschaft bekommt heute Nacht das zurück, was sie verdient hat!“, er lächelte schelmisch und in seine Augen trat ein aggressives und hinterlistiges Blinzeln.

Zusammen zogen sie nun los. Kalle blieb in dem Bunker und achtete darauf, dass das Feuer nicht ausging. Nadja schlich um die Kirche herum und sah, dass der Gottesdienst gerade begonnen hatte. Es war vermutlich gerade gegen 20 Uhr. Um sie herum war es dunkel und nur die Sterne funkelten am Nachthimmel. Der Mond beschien sie und den Weg zu den parkenden Autos. Max und Katrin verabschiedeten sich mit einem Winken und machten sich ihrerseits auf den Weg zu den verlassenen Häusern. Nadja ging auf den Parkplatz zu. Frischgeputzte Sportwagen standen da. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem glänzenden Lack. Mit einem Schlüssel bewaffnet ging sie um die Wagen herum. Sie suchte sich einen schönen teuer aussehenden Wagen aus und setzte den Schlüssel an die Beifahrertür. Mit einem geringen Kraftaufwand zog sich der Schlüssel über den Lack und hinterließ eine Schrammspur von 20 cm. Das Geräusch war schrecklich und doch befreiend für Nadja. Endlich konnte sie sich dafür rächen, dass sie nie Hilfe erhalten hatte als sie sie am dringendsten gebraucht hatte. Sie hatte sich an das Jugendamt gewendet, doch ihre Kartei schien irgendwie verloren gegangen zu sein, und sie erhielt nie mehr Antwort. Nach zwei weiteren Wagen, fiel ihr Blick auf einen großen Bulli. Ihre Hände schmerzten von der Kälte und auch ihre Füße mussten in der Zwischenzeit zu Eisklumpen geworden sein. Sie sah dem Wagen an, dass er aus einem anderen Zeitalter der Autobaukunst stammte. Sie hatte mal gesehen wie man so einen Wagen kurzschließen konnte. Aus ihren Haaren zog sie eine Klammer und machte sich damit am Schloss des Wagens zugange. Ein aufkommender kalter Wind umspielte sie und sie durchfuhr ein Schauer. Sie kniff ihre Augen zusammen um in dem spärlichen Licht des Mondes etwas zu erkennen. Sie hatte schon oft Schlösser geknackt und hatte deshalb keine großen Probleme die Fahrertür aufzubrechen. Sie stieg ein und lächelte. „Da hast du es du ungerechte Welt. Du da oben? Der Mond kann auch nur zuschauen, wie ich mir das hole was man mir hätte geben sollen.“ Sie betrachtete das Armaturenbrett und versuchte es aufzubrechen, als sie zusammenfuhr. Ein leichtes Wimmern erweckte ihre Aufmerksamkeit. Auf dem Rücksitz des Wagens stand ein Kindersitz in dem ein kleines Baby sie mit großen Augen anstarrte. Das Baby mochte vielleicht 5 Monate alt gewesen sein. Erschrocken sprang sie aus dem Wagen und knallte die Tür zu. „Scheiße!“; rief sie aus. Als sie über den Parkplatz stolperte knickte ihr Fuß weg doch sie ignorierte den pochenden Schmerz und lief einfach schnell weiter. In sicherer Entfernung kauerte sie sich hinter einen Busch. Wer in Gottes Namen ließ denn ein Baby bei der Kälte einfach im Wagen zurück? Ihr Herz raste. Sie wusste nicht wieso. War es vielleicht der hilflose Blick des kleinen Babys, welcher sie nicht mehr losließ? War es die Tatsache, dass sie ertappt wurde und sei es nur von einem kleinen Kind? Je mehr sie darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es ihr. Dieses kleine Kind erinnerte sie an sich selber. Auch sie war zurückgelassen worden. Alleine in einem kalten Raum. Bei ihr waren es die Eltern, die sich nie um sie gekümmert hatten und die große einsame Welt in die sie hineingestolpert war. Bei dem kleinen Kind war es die Einsamkeit, abgestellt in einem kalten Wagen irgendwo auf einem Parkplatz.

Sie zündete sich noch eine Zigarette an. Hektisch zog sie daran. Ihre Gedanken kreisten um das arme und ängstliche Kind. Ihre Finger fühlten sich taub an und auch ihre Hose war nass durch den Schnee geworden, in den sie sich hineingehockt hatte. Sie fror. Doch sie schien nicht auf die Schmerzen zu achten die sie befielen. Was sollte sie jetzt tun? Sie könnte einfach umdrehen und Max und Katrin Gesellschaft leisten. Das Gesicht des Kindes aus ihren Gedanken verbannen und weiter nach etwas Essbarem und etwas warmen und vor allen Dingen trockener Kleidung zu suchen. Als sie sich schon von der Kirche und dem Parkplatz abwenden wollte, befiel sie plötzlich das Gefühl, dass sie diesem hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen sollte. Die Messe würde noch 1 ½ Stunden dauern, bis dahin würde das Baby an Unterkühlung erfrieren. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und zwang ihre Beine dazu trotz der Kälte und dem eisigen Wind, wieder zurück zu dem Parkplatz zu gehen. Ihr Fuß tat weh und sie schleppte sich zu dem parkenden Bulli. Sie öffnete die hintere Autotür und sah zum zweiten Mal an diesem Tag in die strahlend blauen Augen des kleinen Jungen. Er war blass und als sie ihre Hände nach ihm ausstreckte zuckte er nicht einmal zusammen. Seine kleinen Ärmchen waren kalt und sein Wimmern war nur noch ein kraftloses Schnaufen. „Ich helfe dir!“, sagte Nadja und drückte ihn fest an sich, „Ich hoffe das lohnt sich für mich. Und wenn nicht, sollst wenigstens Du eine Chance auf ein glückliches Leben haben!“ Sie nahm ihre Mütze ab und zog sie dem Kleinen über. Der Wind stürmte um ihre Ohren und sie schauderte. Es begann wieder zu schneien. Mit dem Kleinen auf dem Arm betrat sie die Kirche. Der Geruch von Weihrauch lag in der Luft. Es war warm und es schien eine angenehme Stimmung vorzuherrschen. Ihre Arme hatten Mühe die schwere Tür in den Innenraum aufzudrücken. Es war ewig her, dass Nadja eine Kirche betreten hatte. Sie hielt nichts von Gott, da sie der Meinung war, dass wenn es Gott gäbe, hätte er ihr gewiss schon geholfen. Die Gemeinde war am Singen. Irgendein Weihnachtslied das sie nicht kannte. Die Melodie klang aber wie jedes andere Weihnachtslied auch. Die Komponisten waren ihrer Ansicht nach nicht sehr kreativ gewesen. Ihre Hände glühten und auch ihr Gesicht schmerzte von der Temperaturumstellung. Unschlüssig darüber was sie tun sollte, rief sie quer durch die Kirche: „ Könntet Ihr alle einmal leise sein?“ Abrupt hörten die Menschen auf zu Singen und drehten sich zu ihr um. Die Orgel spielte weiter, der Orgelspieler war in seiner Musik zu sehr vertieft um sie zu beachten. Die Blicke richteten sich auf sie. Darunter waren böse und angeekelte Blicke wie jemand wie sie die heilige Kirche betreten konnte und dann auch noch den Gottesdienst störte, aber auch einfach nur verdutzte Gesichter. Nadja war schlecht. Ihr war kalt und auch der Geruch von Weihrauch nebelte sie ein. Doch sie riss sich zusammen: „Wem gehört dieses Baby?“, fragte sie in die Runde. Ein Raunen ging durch die Bänke und ein anderer rief laut zu ihr herüber: „Hast du keine anderen Probleme? Geh zurück zu deinesgleichen und belästige uns nicht weiter!“ Sie zuckte zusammen. Sie hasste Menschen. Sie hasste Menschen die sich für was Besseres hielten, doch im Moment konnte sie nur hoffen, dass diesem Mann eines der Autos gehörte die sie verkratzt hatte. Plötzlich schrie eine junge Frau auf. Sie drängte sich durch die Bänke und kam auf Nadja zu. Gefolgt von einem jungen gut gekleideten Mann. „Wieso hast Du meinen Jonathan?“, zitternd blieb die Frau vor Nadja stehen. „Ich kann das erklären…“, stotterte Nadja. Sie wusste nicht, ob die beiden Leute ihr wohlgesonnen waren oder nicht. Wahrscheinlich waren sie es eh nicht und der junge sportlich aussehende Mann würde sie aus der Kirche prügeln. Sie reichte der jungen Mutter ihr Kind. Schnell wollte sich Nadja umdrehen, als sie der Mann festhielt. Nun war es so weit. Sie würde bestraft für etwas, was sie nur aus Nächstenliebe getan hatte. Ihr Blick war gesengt. Sie erwartet den ersten Schlag oder sonstiges. Doch der Mann reichte ihr ihre Mütze zurück. Er lächelte. Sie zuckte dennoch zusammen. „Das Kind muss gewärmt werden. Es erfriert sonst.“, brachte Nadja noch heraus. Sie zitterte. Vor Angst und der Ungewissheit was als nächstes passieren würde und auch aus und auch vor Kälte. Ihre Beine fühlten sich tot an. Der Mann reichte ihr seine Jacke und zusammen verließen sie die Kirche. Die Mutter hielt den kleinen Jonathan fest an ihrer Brust. „Sie können doch nicht einfach ihr Kind in einem kalten Auto zurück lassen!“, empörte sich Nadja als sie neuen Mut gefasst hatte, „Das Baby wäre doch erfroren!“. Die Mutter des Kindes fing leicht an zu weinen. Der Vater wandte sich an Nadja: „ Du hast sehr Recht. Aber dies ist das erste Weihnachten das wir mit dem Kleinen verbringen. Wir wussten nicht damit umzugehen. Wir sind dir dankbar! Er war so schön am Schlafen, wir wollten ihn nicht wecken.“ Nadja stieg mit in das Auto ein und auf der Fahrt erzählte sie auch ihre Geschichte. Sie erntete mitleidige Blicke der Mutter. „Als Dank, würden wir dich gerne zu uns zum Essen einladen.“, sprach der Mann. Nadja stimmte zu unter der Bedingung, dass sie auf dem Weg auch Max, Katrin und Kalle mitnehmen würden. Die jungen Eltern stimmten zu, machten aber klar, dass sie eigentlich nicht für so viele Menschen etwas Gekocht hatten. „Alles ist besser, als noch einen Tag angeschimmelte Äpfel und erfrorenes Brot zu essen.“, gab Nadja zu. In diesem Sinne saßen Max, Katrin, Kalle und Nadja zusammen bei der Familie am Tisch. Ein Feuer brannte im Kamin und auch der Weihnachtsbaum leuchtete. Die Kälte wich aus ihren Knochen und als dann auch noch das Essen kam, fielen sie alle darüber her. Selbst Kalle fing an ein altes Lied zu singen und ein Glänzen befiel seine Augen, als er den kleinen Jonathan in den Händen hielt. Sie alle sprachen viel an diesem Abend und Nadja hatte das erste Mal das Gefühl angekommen zu sein. Die Familie versprach niemals mehr ihren Sohn im Auto zu lassen und luden die vier ein über die Weihnachtstage bei ihnen zu übernachten um Nadja zu danken.

Sie nahmen dieses Angebot sehr gerne an.

So hatte Nadja an diesem Abend ihren ganz eigenen Jesus gefunden und heimlich betete sie am Abend zu Gott in der Hoffnung, dass er sie ja vielleicht doch gehört hatte. Als sie nach einer warmen Dusche, mit vollem Bauch auf einer eigenen Matratze lag dachte sie noch einmal über den Verlauf des Tages nach und fragte sich selbst, warum sie dem Kleinen geholfen hatte. Insgeheim wünschte sie sich für ihn nur eine gute und gesunde Welt und keinen frühen Tod. Und all das trotz dem Risiko, dass sie nachher als Bösewicht dagestanden hätte und wegen Kindesentführung (falls das möglich gewesen wäre, Nadja kannte sich mit den Gesetzgebungen nicht so aus) in eine Jugendstrafanstalt gesteckt worden wäre. Als sie in dieser Nacht einschlief, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Weihnachten war eben doch ein Fest der (Nächsten-) Liebe.

 

FROHES FEST!

Kategorien: Adventskalender2013

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